Eigene Leistungen anerkennen

[dropcap]W[/dropcap]enn es eine Tendenz gibt, die ich in unserer Leistungsgesellschaft immer wieder sehe, dann ist es diejenige, eigene Leistungen nicht ausreichend anzuerkennen. Während die Leistung im Redaktionsalltag inzwischen fast überall nach objektiven Kriterien eingeschätzt und bewertet wird, um z.B. Tantiemen oder Bonuszahlungen festzulegen, geht es im persönlichen Bereich oft rein nach Gefühl – und das ist meistens überkritisch.

Ich habe mit Klienten gearbeitet, die mehrere Master-Abschlüsse hatten und bis zu fünf Sprachen beherrschten, sich aber unzulänglich fühlten, weil ihre Karriere sich nicht so entwickelt hatte, wie sie es sich vorgestellt hatten oder ihnen beispielsweise ständig Geschwister vorgehalten wurden, die noch ein wenig erfolgreicher waren. Plötzlich schien die eigene akademische Leistung, all die jahrelange Mühe, entwertet und sinnlos.

Karriere kann auch heißen, dabei geblieben zu sein

Andere haben nie Karriere im Sinne eines Aufstiegs gemacht. Ihre Karriere bestand darin, einen Job über Jahre gut und zuverlässig gemacht zu haben, beispielsweise als einfacher Redakteur oder Reporter, während die Ressortleiter und Chefredakteure kamen und gingen. Auch das ist eine Leistung: Dabei geblieben zu sein, das Alltagsgeschäft einer Redaktion am Laufen gehalten und eigene Frustphasen nebenbei selbst bewältigt zu haben.

Eine Leistung ist es auch, ein normales Sozialleben – Familie, Freunde, Hobbys – inmitten schwieriger Umstände aufgebaut und erhalten zu haben, beispielsweise trotz Schicht- oder Sonntagsdiensten, ständigen Überstunden, Dienstreisen oder einem Partner, der pendeln muss. Unter anderen Umständen wären das vielleicht Selbstverständlichkeiten, für einen Journalisten ist das bereits eine bemerkens- und anerkennenswerte Leistung.

Eine Leistung ist es ebenso, schwerwiegende persönliche Enttäuschung zu bewältigen. Das kann das Scheitern einer Beziehung oder der Verlust eines geliebten Menschen sein, aber auch die schmerzliche Wahrnehmung, nie eine eigene Beziehung gehabt oder den Zeitpunkt für Kinder verpasst zu haben. Wer sich mit diesen Themen auseinandersetzt und für sich Wege findet, damit umzugehen, leistet etwas – und sollte das für sich anerkennen.

Wer seine Leistung anerkennt, stärkt seine Selbstachtung

Diese Anerkennung ist die Voraussetzung für realistische Einschätzung und Planung der eigenen Ressourcen, also der eigenen Kraft und Zeit. Wer anerkennt, dass er gerade eine beachtliche persönliche Herausforderung bewältigt, wird berufliche Ziele zurückhaltender planen als jemand, der das verleugnet. Umgekehrt wird jemand, der vieles bewältigt hat, von sich nicht mehr als „einfacher Redakteur“ reden – er weiss, dass er sehr viel mehr ist.

Wichtiger noch ist die Wirkung auf die Selbstachtung. Wer das Gefühl hat, in wichtigen Lebensbereichen gescheitert zu sein, verliert die Kraft, von anderen Respekt einzufordern und wird sich in vielen unguten Situationen wiederfinden, die sich daraus ergeben (z. B. respektlose Vorgesetzte oder Partner). Wer anerkennt, dass es schon eine Leistung ist, ein Scheitern zu bewältigen, kann darin eine Quelle der Stärke und des Stolzes finden.

Keinesfalls soll diese Betrachtung einem Fatalismus das Wort reden – also hinzunehmen, was nun eben ist, und sich damit zu trösten, dass nicht alles klappen kann. Im Gegenteil: Wer seine eigene Leistungen anerkennt, hat ein vollständigeres Bild seiner Kapazitäten und wird oft auch mutiger. „Ich habe doch schon ganz andere Sachen durchgestanden“, ist eine Einsicht, die aufmuntert und Kraft spendet. „Ich probiere das, ich kann das schaffen.“

Im beruflichen Alltag haben sich objektive Kriterien bewährt, etwa seine eigene Leistung anhand von Zielen wie Gewinnentwicklung oder abgeschlossenen Projekten zu bewerten. Das kann man im Privaten ebenso tun. Dabei sollte man sich nicht mit anderen vergleichen – ein Single hat nicht versagt, weil andere eine Familie haben -, sondern mit seinem früheren Selbst. Wo stand man vor fünf oder zehn Jahren, was ist seitdem alles passiert?

Viele müssen einräumen, dass sie eine weite Strecke zurückgelegt haben: Positionen erobert und, falls es Rückschläge gab, verteidigt oder neu erkämpft, Umstrukturierungen mitgemacht, Weiterbildungen abgeschlossen, persönliche und familiäre Krisen erlebt – und neben all dem ihren Job gemacht. Sagen Sie also auf die Frage, was Sie geleistet haben, nie wieder „ach, nichts besonderes“ – sondern die Wahrheit: „Eine ganze Menge.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kress.de.

 

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