Die Dinge sehen, wie sie wirklich sind
[dropcap]E[/dropcap]in Redaktionsleiter, der sich für sehr gut vernetzt hielt, wird vom Besuch des Verlagsleiters überrascht, der ihm mitteilt, dass sein Team drastisch verkleinert und er heruntergestuft werde. Nicht hatte aus seiner Sicht vorher darauf hingedeutet. Ein Auslandskorrespondent stellt fest, dass seine politischen Prognosen regelmäßig daneben liegen. Die Leser machen sich in den Kommentaren bereits lustig darüber. Eine Journalistin, die sich selbstständig gemacht hat, empfindet ihre früheren Kollegen plötzlich als feindselig: Ihre Themenangebote werden ignoriert, Anrufe abgewehrt. Sie vermutet, man wäre neidisch auf ihre neue Freiheit.
So unterschiedlich diese Fälle sind, haben sie etwas gemeinsam: Eine Person stößt auf unerwartete Ereignisse oder Reaktionen, die sie sich einfach nicht erklären kann. Wer es nicht bei einer allgemeinen Klage über die Umstände und Mitmenschen belassen will, kommt zu einem komplexen Thema: Dem Grad der Wahrnehmung (Awareness).
Sich selbst und andere möglichst neutral sehen
Hinter diesem Modewort verbirgt sich ein entscheidender Erfolgsfaktor: Die Fähigkeit, sich selbst und die anderen so objektiv wie möglich zu sehen – also verzerrende Filter wie eigene Vorlieben und Abneigungen, Wünsche und Ängste bei Bedarf so weit möglich beiseite legen zu können. Sehen, wie die Dinge wirklich sind und dadurch nicht überrascht werden, sondern innerlich vorbereitet, klar im Urteil und sehr schnell handlungsfähig sein.
Was sind Anzeichen, dass Ihre Selbstwahrnehmung besser sein könnte?
- Sie werden regelmäßig von Entwicklungen und Trends überrascht, die Sie gar nicht mitbekommen oder völlig falsch eingeschätzt haben. Typische Sätze: „Ich verstehe die Welt nicht mehr“, „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“
- Sie stellen fest, dass Sie auf recht erwartbare Lebensereignisse überhaupt nicht vorbereitet waren und deshalb völlig aus der Bahn geworfen wurden. Typische Sätze: „Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert“, „Warum ich“.
- Viele Reaktionen Ihrer Mitmenschen können Sie sich nur erklären, indem Sie ihnen etwas Negatives unterstellen: Die andere Person sei bestimmt gemein, ungebildet, neidisch o.ä., vielleicht auch ein Narzisst, Borderliner oder Psychopath.
- Sie ertappen sich dabei, dass Sie in Streitgesprächen damit argumentieren, dass etwas nicht sein könne, weil Sie es nicht kennen. Typische Sätze: „Das kann nicht sein“, „Das habe ich noch nie gehört“, „Also, ich kenne niemanden, der…“
- Wenn Sie andere nach einem Feedback fragen, werden Sie von den Antworten oft völlig überrascht – im Negativen oder auch im Positiven. Beispiel: Man nennt gute Eigenschaften von Ihnen, die Sie selbst für sich kaum annehmen können.
- Sie sind sich innerlich sehr unsicher, wer Sie sind und was Sie eigentlich wollen. So fallen Ihnen selbst persönlichste Entscheidungen sehr schwer, etwa, ob Sie eine angebotene Stelle annehmen oder in eine bestimmte Stadt ziehen sollen oder nicht.
Eine hohe Wahrnehmung hat dabei nichts mit Selbstbewusstsein zu tun. Man kann sich seiner Sache sehr sicher sein und selbstbewusst auftreten und dennoch feststellen, dass man ständig daneben liegt. Es geht also vor allem um die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität. Bei der Beurteilung der eigenen Wahrnehmung muss man sich übrigens nicht auf sein Gefühl verlassen. Wie objektiv man denkt, lässt sich messen. Tests wie das „Energy Leadership Index Assessment“ ermitteln es in eindeutigen Prozentwerten an.
Objektivität lässt sich üben
Selbstverständlich lässt sich Objektivität auch üben, wenngleich die Übungen zwar einfach klingen, aber herausfordernd sind. Es ist nicht einfach, sich selbst in Frage zu stellen. Hier einige bewährte Möglichkeiten, vom einseitigen zum umfassenden Blick zu kommen.
- Gewöhnen Sie sich an, grundsätzlich zu jedem Thema auch die exakt gegenteilige Meinung zu studieren, und zwar so lange, bis Sie sie verstehen und nachvollziehen können (was nicht heisst, dass Sie sie teilen müssen). Es geht dabei darum, den eigenen Blickwinkel zu verbreitern, praktisch etwa durch einen möglichst vielseitigen Freundeskreis und Medienkonsum.
- Identifizieren Sie Themen, bei denen Sie besonders entschiedene Positionen vertreten und vielleicht sogar so verhärtet sind, dass Sie es durchweg ablehnen, sich überhaupt mit anderen Sichtweisen als Ihrer eigenen zu beschäftigen. Bei dieser Reflektion geht es nicht darum, dass Sie Ihre Meinung ändern, sondern für sich selbst verstehen, woraus sich Ihre Haltung speist.
- Werden Sie misstrauisch, wenn Sie den Eindruck haben, dass „alle“ eine bestimmte Sicht vertreten, beispielsweise Ihre Freunde, Ihr Facebook-Feed, die Umfragen und die Autoren, Kolumnisten und Fernsehkommentatoren, die Sie mögen. Oft endet diese Illusion bereits beim Gespräch mit den eigenen Eltern. Vermeiden Sie geistige Echokammern.
- Bitten Sie andere um Feedback, aber ausschließlich um positive Eigenschaften (diese Übung kann ein guter Bestandteil eines Teamworkshops sein). Ziel ist es hier nicht, sich kritisieren zu lassen und danach zu verbessern, sondern zu erfassen, was andere in Ihnen sehen, um Ihre eigene Wahrnehmung von sich selbst zu erweitern.
- Probieren Sie regelmäßig etwas aus, das Sie „normalerweise nie“ machen würde und ergänzen Sie so Ihre Alltagserfahrungen durch komplementäre Erlebnisse. Beispiel: Verbringen Sie Zeit mit Leuten, die mit Journalismus überhaupt nichts zu tun haben (z. B. im Rahmen eines Ehrenamtes). Achten Sie dabei weniger auf Inhalte und Informationen als darauf, was Sie dabei denken und fühlen.
Gegen all das wird manchmal vorgebracht, man müsse doch „Haltung zeigen“: „Wer nach allen Seiten offen ist, der ist nicht ganz dicht.“ Das verdreht die Reihenfolge. Hier geht es darum, erst alle Optionen einmal klar für sich zu sehen und danach zu entscheiden, was zu einem passt – anstatt mit einer festgefahrenen Weltsicht vorab alles auszublenden, was nicht dazu passt, um schlussendlich doch mit den Realitäten konfrontiert zu werden.
Völlig falsch wäre die Annahme, das führe zur Anpassung an Mehrheitsmeinungen oder Beliebigkeit. Ganz im Gegenteil: Erfolgreiche Führungspersönlichkeiten machen, nach dem Prüfen aller Optionen, sehr oft exakt das Gegenteil von dem, was „alle“ anderen gemeint und die Experten und Umfragen empfohlen haben. So ist objektives Denken vor allem eins: Die Fähigkeit, sich gedanklich unabhängig zu machen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kress.de.
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