Was tun, wenn der Job einfach nicht zu schaffen ist?
[dropcap]D[/dropcap]er Produktmanager eines Fernsehsenders war ehrlich verzweifelt, beschämt über seine vermeintliche Unfähigkeit und mit seinen Kräften am Ende. In seinem Outlook-Postfach standen mehr als 1000 unbearbeitete E-Mails. Er fürchtete die „Status-Meetings“ mit seinem Chef, bei denen ein unfertiges Projekt nach dem anderen zur Sprache kam. Er fühlte sich ständig todmüde, auch nach dem Urlaub, und das mit Mitte 30. Dabei war er keineswegs faul, aber die Arbeit war einfach nicht zu schaffen: Nichts erledigt, und doch immer mehr.
Tatsächlich kommt diese Situation gar nicht so selten vor. In den 90er Jahren hätte man noch geraten, Prioritäten zu setzen und seine Zeit besser einzuteilen (typischer Buchtipp: „Mehr Zeit für das Wesentliche“). In den 2000ern hätte man gemeint, durch Vereinfachung würden sich Glücksmomente ergeben („Simplify your life“). In den 2010ern kam Meditation und Achtsamkeit dazu („Search inside yourself“). Das Problem: Heute ist jeder „optimiert“. Die Kalender verdichtet, die Bus- oder Bahnfahrt zur Arbeit bereits gefüllt mit E-Mails und Excel-Tabellen auf dem Laptop, das Handy voller Produktivitäts-Apps. Was also tun?
Nach meinem Eindruck ist dieses Phänomen ein Ergebnis des „zielorientierten“ Führens, das vor einigen Jahren in Mode kam: Der Mitarbeiter erhält ein Ziel und die Freiheit, es auf seine eigene Weise zu erreichen – allerdings auch, mehr oder weniger verbindlich, die Verpflichtung dazu. Das kann gut funktionieren, wenn sich jemand gut selbst organisieren kann und Arbeitsaufwand und Ressourcen ungefähr zusammenpassen. Der Mitarbeiter muss zudem realistisch einschätzen können, was er selbst und unter den gegeben Umständen erreichen kann. Vor allem aber muss er in der Lage sein, auch „Nein“ zu sagen, und damit leben können, dass er dann einen wütenden oder enttäuschten Chef, verärgerte oder gestresste Kollegen vor sich hat.
Bei manchen Firmen hat sich dieser Führungsstil eher ungeplant daraus entwickelt, dass im Laufe der Jahre immer mehr Arbeit auf immer weniger Kollegen verteilt wurde. „Das wird ja zu schaffen sein“, sagte der Manager vielleicht, „früher ging es ja auch.“ Nicht selten steckt dahinter keine Böswilligkeit, sondern z. B. Unkenntnis im Detail und auch Überschätzung, wie sehr technische Lösungen („Aber Ihr habt doch jetzt das neue System!“) und externe Ressourcen („Dann ruft doch unser Service-Center in Warschau an.“) helfen. Andere Firmen haben bewusst ein komplexes System aus Jahres-, Quartals- und Monatszielen aufgebaut, nicht selten angeblich „freiwillig“, aber doch zwingend und mit Kopplung ans flexible Gehalt.
Wer kann gut mit so etwas umgehen? Jemand, der auch woanders etwas finden würde und die Überlastung mit sportlichem Ehrgeiz, aber gleichzeitig einer gewissen Distanz angeht. Wenn etwas nicht funktioniert, ist das ärgerlich, aber nicht das Ende der Welt. Wer zerbricht manchmal sogar daran? Jemand, bei dem Arbeitsmenge und Ressourcen überhaupt nicht zusammen passen, der vielleicht zu Recht befürchtet, woanders so schnell keinen anderen Job zu finden, sich durch Schulden und Kinder gebunden fühlt und sich schwer damit tut, Ansprüche auch zurückzuweisen und sein Gegenüber seiner Verärgerung zu überlassen, statt sich auch dafür noch verantwortlich und schuldig zu fühlen. Für diese Fälle einige Empfehlungen, um der Überlastung wieder zu entkommen.
Finden Sie die richtige Belastung für sich selbst
In jeder Abteilung, selbst wenn sie noch so „effizient“ erscheint, gibt es Mitarbeiter mit unterschiedlichster Arbeitsmoral und Auffassung, wie viel sie selbst leisten wollen. Mancher steht jeden Tag, exakt auf die Minute zum offiziellen Arbeitsende, mit seiner Jacke an der Tür und verabschiedet sich. Andere sitzen um 23 Uhr noch am Computer und bereiten sonntags die neue Arbeitswoche vor. Finden Sie zwischen diesen Extremen die Belastung, die für Sie richtig ist – erlauben Sie sich, Ihr eigener Maßstab zu sein. Wenn Sie sich nicht gut fühlen oder sogar richtig schlecht, sollten Sie ab sofort etwas verändern.
Suchen Sie Erholung, wo Sie nur können
Wer furchtbar erschöpft ist, trifft keine guten Entscheidungen und arbeitet mittelfristig unter seiner eigenen Leistungsfähigkeit. Achten Sie also in jedem Fall darauf, sich so gut, wie es nur geht, zu erholen. Gehen Sie früh ins Bett und kommen Sie nicht als erster ins Büro. Treiben Sie moderat Sport, gehen Sie spazieren oder in die Sauna – was immer Ihnen gut tut. Sie können sich wahrscheinlich nicht durch eine kurzfristige besondere Anstrengung aus dem Berg von Arbeit befreien. Stärken Sie sich daher – körperlich und seelisch. Zu letzterem zählt auch gemeinsame Zeit mit dem Partner, mit Kinder, Freunden und auch Tieren.
Lassen Sie sich nicht zu sehr unter Druck setzen
Auch wenn die meisten Firmen betonen, derartige Ziele wären freiwillig vereinbart und vorab gemeinsam besprochen – so ganz trifft das natürlich nicht zu. Sie sind fast immer Teil von Projekten, auf die andere Kollegen aufbauen, und Ihr Erreichen wird über den Bonus, aber auch Lob und Tadel belohnt und ein Scheitern bestraft. Lassen Sie sich trotzdem nicht zu sehr unter Druck setzen, etwa von übereifrigen Vorgesetzten, die sich gerade selbst die Gesundheit ruinieren. Ziele werden pausenlos verfehlt, selbst vom CEO. Natürlich ist es gut, ehrgeizig zu sein und etwas erreichen zu wollen. Aber es wird auch sonst weitergehen.
Vermeiden Sie unüberlegte Fluchten
Ein verlockender und später oft bereuter Ausweg ist es, sich dauerhaft krankschreiben zu lassen oder unüberlegt zu kündigen, ohne etwas Neues zu haben. Manchmal ist das tatsächlich der einzige Ausweg und bei einer echten Erkrankung selbstverständlich richtig. Weniger günstig ist es, sich aus Angst vor den Chef oder wegen der Flut der unerledigten Aufgaben krankschreiben zu lassen oder arbeitslos zu werden. Sie weichen damit nur kurzzeitig einem Problem aus, das Sie selbst besser aktiv lösen – nicht selten sogar mit innerbetrieblicher Unterstützung (z.B. Personalabteilung, Betriebsrat, Psychologe). Gehen Sie also lieber zur Arbeit, aber mit dem festen Willen, sich Ihr Leben leichter zu machen.
Beginnen Sie, sich Alternativen zu überlegen
Es ist zu diesem Moment vielleicht unvorstellbar, aber: Es gibt ein Leben außerhalb Ihrer aktuellen Situation und sogar Firma, und das muss nicht schlechter sein. Natürlich ist man nach einigen Jahren an den aktuellen Job gewöhnt und viele praktische Sorgen sind ganz normal: Wer zahlt den Hauskredit, wenn der Job weg wäre oder man woanders weniger verdienen würde? Kann man Risiken wie die Probezeit eines neuen Jobs riskieren, wenn man Familie hat? Der Ausweg: Überlegen Sie sich Alternativen – intern (z. B. Wechsel in eine Abteilung mit weniger Stress, Teilzeit) oder extern (z. B. Branchenwechsel). Reduzieren Sie zudem persönliche Risiken (z. B. einen Urlaub streichen, dafür Dispo ausgleichen).
Suchen Sie professionelle Hilfe, wenn nötig
Einer der wichtigsten Schritte ist, eigene Grenzen zu erkennen. Wenn Sie bemerken, dass es Ihnen spürbar immer schlechter geht und Sie es nicht schaffen, noch aktiv zu werden, sollten Sie ohne jedes Zögern professionelle Unterstützung suchen. Ganz besonders gilt dass, wenn Sie Suchtverhalten verspüren (z. B. Alkohol gegen den Stress, Drogen) oder mit zerstörerischen Gedanken kämpfen (z. B. Selbstmord-Fantasien). Es ist keine Schande, sich um Hilfe zu bemühen, sondern eine ausgesprochen kluge Entscheidung.
Wenn Sie bereits seit einigen Monaten oder gar Jahren am Ende Ihrer Kräfte sind, wird es oft Zeit, eine Lebenslüge zu beenden: Dass es „im Moment“ etwas schwierig sei, aber der Abschluss dieses Projektes und die Wiederbesetzung jener offenen Stellen im Team alles wieder besser machen würde. Dauerhafte Überlastung, vom Unternehmen gewollt oder unbewusst verursacht, macht krank und mindert Ihre Lebensqualität. Zeigen Sie hier Respekt für Ihre eigenen Bedürfnisse und kümmern Sie sich darum, dass Sie morgens wieder mit Freude aus dem Haus gehen und abends gern auf den Tag zurückblicken.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kress.de.
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