Wie lerne ich, Grenzen zu setzen?

[dropcap]A[/dropcap]ls ich etwa 20 Jahre alt war, rief mich mein damaliger Redaktionsleiter zu sich ins Büro und eröffnete mir, dass meine Pauschale als freier Mitarbeiter gekürzt werden müsse. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei Jahre täglich in der Lokalredaktion mitgearbeitet. Er hatte sein Honorarbudget überzogen und ging davon aus, dass ich als jüngstes Redaktionsmitglied und natürlich ohne jede Hausmacht, wohl auch für weniger weitermachen würde.

Ich teilte ihm mit, dass ich unter diesen Umständen nur noch bis zum Monatsende, zehn Tage, bleiben und mich dann verabschieden würde. So geschah es auch. Ich suchte mir einen kurzfristigen PR-Job und verließ die Redaktion, bei der ich auf ein Volontariat gehofft hatte. Im Rückblick wundert mich meine damalige Konsequenz. Es handelte es sich immerhin um mein einziges Einkommen, und meine Familie hätte mich nicht unterstützen können. Sie lehrte mich aber früh etwas Entscheidendes: Grenzen setzen.

In späteren Berufsjahren gab es in verschiedenen Positionen immer wieder einmal ähnliche Situationen. Einmal wollte man mich aus dem Impressum streichen („wir haben den Platz jemand anders versprochen“), einmal in der Tarifgruppe senken („das Gehalt bleibt aber gleich, versprochen“). Ich nahm mir einen Anwalt, teilte meinem Arbeitgeber mit, dass ich damit leider nicht einverstanden sei, und der Versuch war aus der Welt geschafft.

Vielen fällt es schwer, Grenzen zu setzen, beruflich wie privat. Dabei handelt es sich nicht um eine Charakterschwäche, und bei anderen Gelegenheiten musste ich mir das auch erst erarbeiten. Grenzen setzen zu können erfordert Vorbereitung, persönlich wie ganz praktisch. Hier sind einige wichtige Bedingungen dafür, effektiv für sich selbst einzutreten.

Ihre Grenzen zeigen, was Ihnen wirklich wichtig ist

Ihre Grenzen zeigen, was Ihnen wichtig ist – etwas, für das Sie einstehen würden, auch wenn Widerstand zu erarbeiten ist. Bei mir ging es damals nicht um das Geld (ich lebte recht bescheiden und verbrachte sowieso die meiste Zeit in der Redaktion), sondern um die professionelle Ehre. Ich hatte gut gearbeitet, das Honorar war vereinbart. Da kam es für mich ganz grundsätzlich nicht in Frage, mich später herunterhandeln zu lassen.

Anderen geht es darum, unerwünschtes Verhalten nicht mehr hinzunehmen. Schwere Fälle gehören sowieso zu Personalabteilung, Betriebsrat oder Anwalt. Aber in der alltäglichen Kommunikation sollte man darauf vorbereitet sein, jemandem eine Grenze zu setzen, etwa bei Unhöflichkeiten, Intrigen oder ständigen brachialen Textveränderungen. Je klarer Ihnen selbst ist, was Sie nicht hinnehmen wollen, desto sicherer und entschiedener werden Sie auftreten und desto weniger kann man Sie einschüchtern oder überrumpeln.

Grenzen muss man sich zuerst leisten können

Danach kommt der Punkt, dass man sich Grenzen erst einmal leisten können muss. Wer gar keine anderen Optionen hat, muss alles hinnehmen. Ich konnte mir damals innerhalb weniger Tage über einen Kontakt einen neuen Job suchen, war allerdings auch denkbar flexibel. Grundsätzlich ist es auch Angestellten immer anzuraten, ihre eigene Vermittelbarkeit zu überdenken und, wenn sie zu gering erscheint, etwas dafür zu tun.

Dabei geht es nicht um irgendwelche Weiterbildungen und Zertifikate oder Netzwerken als Selbstzweck, sondern die konkrete Frage: Wo könnte ich mich jetzt bewerben und wie wären meine Chancen? Vielleicht fehlt Ihnen nur eine Fertigkeit (z. B. eine bestimmte Fremdsprache), vielleicht ist ein ganz neuer Abschluss dringend fällig. Ich habe, übrigens nach einem Coaching, mit 37 Jahren meine Arbeitszeit reduziert und berufsbegleitend einen Studienabschluss als Webentwickler nachgeholt. Ich brauchte ihn damals nicht, aber er gab mir Optionen und Sicherheit: Ich kann hier weiterarbeiten, muss aber nicht.

Ein anderer Aspekt sind Lebenshaltungskosten und Schulden. Ich wundere mich oft, wie lang Führungskräfte an etwas festhalten, dass sie sich gar nicht leisten können und ihnen wichtige Spielräume nimmt. In Coachings ist es oft ein wochenlanges Ringen mit sich selbst, ob man das Boot verkaufen, die Kinder doch nicht im Ausland zur Schule schicken oder eine günstigere Wohnung nehmen sollte. Das ist verständlich, viele Journalisten (besonders über 40) sind soziale Aufsteiger und wollen auch weiterhin so wirken. Kostenmanagement ist aber unumgänglich, wenn man seine Bewegungsspielräume erhalten und ausbauen will.

Bereit sein, jemandem auch einmal weh zu tun

Ein weiterer Faktor ist Konsequenz und dazu gehört die Bereitschaft, jemandem, wenn nötig, auch einmal weh zu tun. Man versucht selbstverständlich immer, Konflikte in gegenseitigem Einvernehmen zu lösen, aber manchmal ist das unmöglich. Eine gute Analogie ist eine private Trennung: Man kann sich erklären und versuchen, seinem Gegenüber zu helfen, aber irgendwann ist alles gesagt – eine Seite wird vielleicht nie ganz davon überzeugt sein.

Das bedeutet, dass man sich vom Gedanken verabschieden muss, alle glücklich zu machen. Grenzen zu setzen ist unangenehm für beide, aber notwendig. Mittelfristig kann das alles sowieso wieder anders aussehen: Vielleicht verschafft genau dieser Moment den Respekt, der sogar zu einer späteren Freundschaft führt, oder einen längst überfälligen Lerneffekt beim Gegenüber herbeiführt. Einen kurzen Ärger sollte man also nicht überbewerten.

Es gibt das Klischee, dass Frauen mehr gemocht werden wollen und sich daher schwerer damit tun, anderen Grenzen zu setzen. Ich könnte das nicht bestätigen, Männern geht es oft nicht anders. Neben all den praktischen Problemen führt das nicht selten auch zu Scham, Selbstvorwürfen und einer allgemeinen Mattigkeit im Auftreten – „low energy“.

Wenn es Ihnen regelmäßig schwer fällt oder ganz unmöglich ist, Grenzen zu setzen, ist das selten ein Kommunikationsthema. In Kursen habe ich das manchmal beobachtet: Man übt dann zwar, Dinge wie „Das möchte ich nicht mehr“ zu sagen, aber die Stimme zittert und der ganze Körper drückt echte Angst aus. In diesen Fällen geht es vor allem um zu wenig Selbstsicherheit und physische Präsenz, die sich nicht vorspielen lassen. Wem es daran fehlt, dem ist dringend empfohlen, mit einem Profi (z. B. Therapeut) daran zu arbeiten. Der Gewinn an Chancen und Lebensqualität lohnen diesen Prozess auf jeden Fall.

Falls es Sie interessiert, wie es damals für mich als Pauschalist weiterging: Fünf Monate später war der Vorgesetzte schon nicht mehr in dieser Position, und ich bekam vom Verlag einen Vertrag als Redakteur (ohne Volontariat) angeboten. Ich habe ihn gern unterschrieben, aber immer die innere Freiheit behalten, auch wieder zu gehen. Genau darum geht es beim Grenzen setzen: Nicht darum, Leute vor den Kopf zu stossen oder sich rücksichtslos und egoistisch zu verhalten, sondern nur – wenn nötig – auch eigene Interessen zu wahren.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kress.de.

 

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